Krisen plus Pandemie

" Die Pandemie setzt die anderen Krisen nicht außer Kraft. […] Dieser Fehler wird immer wieder gemacht: Im Schock über eine besonders spektakuläre und medial beachtete Epidemie werden andere Dauerkrisen des Gesundheitssystems in ärmeren Ländern vergessen. Das betrifft Frauen oft härter als Männer.“ Andrea Böhm, „Der Notstand ist doch längst Normalität“, Die Zeit vom 22.03.2020*
 

Aus unseren Projektländern erreichen uns die größten Sorgen – bezüglich der Pandemie und ihren direkten wie indirekten Folgen. Was, wenn die humanitäre Hilfe und die solidarische Zusammenarbeit einbrechen? Wenn Abschottung und soziale Isolation auch international zum Standard werden? Mehr denn je brauchen unsere Partnerinnen nun Solidarität und Unterstützung!

   

Corona: Eine Krise mehr

In Libyen, im Libanon an der syrischen Grenze, in der Ukraine und in Bosnien-Herzegowina – hier wird die Epidemie besonders schwerwiegende Folgen haben. Die nahende Gesundheitskrise, die dort jederzeit ausbrechen kann, ist eine der vielen Krisen, mit denen die Menschen dort ohnehin bereits zu kämpfen haben. Und sie löst die anderen Krisen nicht ab. Viel mehr: Alle Krisen verschärfen sich gegenseitig.

Durch den jahrelangen Bürgerkrieg ist das Gesundheitssystem in Libyen desolat – ganz zu schweigen von den Bedingungen für die Geflüchteten in den berüchtigten Internierungslagern. Im Libanon leben Tausende von Menschen in Flüchtlingslagern und informellen Siedlungen – ohne jede Möglichkeit, die Aufrufe nach „social distancing“ und die hygienischen Vorschriften zu beachten. In beiden Ländern wäre der Ausbruch der Pandemie kaum zu bewältigen.

 

Aktuelles zur Lage in den Projekten in Zeiten der Pandemie

Was passiert in unseren Projektländern? Wie arbeiten unsere Partnerorganisationen in Zeiten der Corona-Krise? Hier ein kleiner Überblick zu unseren Projekten.

  • In Libyen mussten die Beratungszentren unserer Partnerinnen aufgrund der Pandemie schließen. Das heißt aber nicht, dass die Frauen keine Hilfe mehr benötigen. Ganz im Gegenteil: In Zeiten der Pandemie halten sich viele ohne Informationen und Schutzmaßnahmen in ihren Häusern auf. Die Menschen stehen aus Angst unter Druck – vor allem in der sozialen Isolation und im engen Kreis der Familie kommt es schneller zu häuslicher Gewalt. Das Zuhause ist leider nicht für alle Menschen ein sicherer Ort.

Doch unsere Partnerinnen lassen die Frauen nicht allein. In der Hauptstadt Libyens mobilisiert das Team alle Kräfte und improvisiert neue Hilfsstrukturen. Gegen die Epidemie-Gefahr starten unsere Partnerinnen gerade eine online-Kampagne, nutzen die sozialen Medien, um Gesundheitshinweise zu teilen und versorgen über das Hilfetelefon die Menschen mit Informationen zum Coronavirus - zusätzlich zur bisherigen Beratung.

  • Auch unsere Partnerinnen in der Bekaa-Ebene im Libanon haben die psycho-sozialen Beratungstätigkeiten nun aufgrund der Ausgangssperre gezwungenermaßen auf das Telefon umgestellt. Sie berichten, dass sie sehr viele Anrufe über die Hilfs-Hotline erhalten. Viele Frauen sind verunsichert und wirken depressiver als zuvor. Das liegt zum einen daran, dass viele der Frauen nun ihren Peinigern erst recht ausgesetzt sind. Laut den Sozialarbeiterinnen unserer Partnerorganisationen nimmt die Zahl und Intensität der häuslichen Gewalt aufgrund der Ausgangssperren merklich zu. Zum anderen ist für die Frauen die ohnehin schon bestehende ökonomische Unsicherheit sehr belastend, die durch die Corona-Krise nun noch deutlich verstärkt wird. Die Berichte unserer Partnerinnen zeigen, dass die Corona-Krise nicht nur eine unmittelbare Gefährdung durch den Virus bedeutet, sondern, dass soziale Isolation, Ausgangssperren und ökonomische Sorgen darüber hinaus massive Auswirkungen auf die mentale Gesundheit haben. Der ganzheitliche Ansatz mit psycho-sozialer Unterstützung, den unsere Partnerinnen in den Beratungszentren befolgen, ist in diesen Zeiten besonders wichtig.

Die Corona-Epidemie hat den Libanon durch die Nähe zum Iran früh erreicht, wo sich das Virus besonders stark ausgebreitet hat. Wirtschaftlich ist das Land bankrott, das Gesundheitssystem marode. Am stärksten betroffen von der Staats-und Gesundheitskrise sind die Armen in den informellen Siedlungen und die vielen Geflüchteten. Auch hier fragt man sich: „Können die Ärmsten noch mit Hilfe rechnen, wenn die reichen Länder selbst zu kämpfen haben?“ Einen ausführlichen Bericht zur aktuellen Lage in Beirut findet sich in dem ZEIT-Artikel "Corona und der Pleitegeier".

  • In der Ostukraine wurden alle Workshops und Gruppenveranstaltungen bis auf weiteres abgesagt. Auch die mobilen Teams wurden reduziert: In die Pufferzone fahren momentan nur noch zwei Sozialarbeiterinnen und ein Arzt, alle anderen arbeiten nun von zu Hause oder im Büro in Mariupol.

Trotz Gesundheitskrise wird der Waffenstillstand nach wie vor nicht eingehalten. In dem Gebiet, in das unsere mobilen Teams täglich fahren, kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Das Epidemie-Risiko hat die Lage nun zugespitzt:

Um die Verbreitung der Epidemie einzudämmern, hat die Regierung strikte Maßnahmen getroffen. Einige Dörfer, die sehr nah an der Trennungslinie liegen, sind weder für unsere mobilen Teams noch für staatliche soziale Einrichtungen zugänglich. Das bereitet uns wirklich große Sorgen. Wir können schon ahnen, dass Frauen und Mädchen in einer solchen Lage einem erhöhten Gewaltrisiko ausgesetzt sind.

Aber es gibt auch durchaus positive Entwicklungen: Die Frauen haben sich schnell an die neuen Gegebenheiten angepasst, das freut uns sehr!“, sagen unsere Partnerinnen aus Mariupol. Mit Hilfstelefon, Webinaren und Online-Beratung tun unsere Partnerinnen alles Mögliche, um den Kontakt zu den Frauen beizubehalten und sie weiterhin zu unterstützen. Diese neuen Hilfestrukturen werden zunehmend in Anspruch genommen – und inspirieren sogar die Frauen selbst für eigene Initiativen und Selbsthilfegruppen.

 
  • Auch in Bosnien und Herzegowina verschärft sich die Lage. In Sarajevo rufen Isolation und Ausgangssperre schmerzvolle Erinnerungen hervor: Die Erinnerung an die 4-jährige Belagerung, in der die Zivilbevölkerung zu Hause Schutz gegen einen „unsichtbaren Gegner“ gesucht hat. „Die Situation belebt bei vielen Menschen Kriegserinnerungen und Traumata, die noch nicht geheilt sind. Deutlich mehr Frauen rufen zurzeit unsere SOS Hotline an, ihnen geht es psychisch nicht gut“, stellen unsere Projektpartnerinnen fest.

Auch wirtschaftlich sind die bosnischen Frauen besonders vulnerabel. Viele arbeiten im informellen Sektor – das heißt ohne offizielle Anstellung und soziale Absicherung. Wenn die Arbeit wegen der Ausgangssperren wegfällt, fällt auch das Einkommen weg. Unsere Partnerinnen beobachten die Entwicklungen mit größter Sorge: „Ich denke, dass wir erst nach der Epidemie die schlimmsten Konsequenzen der Corona-Krise sehen werden. Es wird sich nicht nur auf die Gesundheit und die wirtschaftliche Lage auswirken, sondern besonders langfristig auch auf das Leben unserer Klientinnen

Das Team ist weiterhin im Einsatz, berät telefonisch oder online, findet innovative Lösungen. Vor allem das politische Engagement wird schwieriger: „Der Zugang zu Behörden ist beschränkt. So wurde ein für März geplantes Treffen mit Entscheidungsträger*innen zur Verabschiedung der Richtlinien zum gerichtlichen Zeugenschutz, auf unbestimmte Zeit verschoben“.

 

Frauen stützen die Gesellschaft

Diese globale Krise zeigt: Es sind in großer Zahl Frauen, die in den für unsere Gesellschaften so zentralen und überlebenswichtigen Arbeitsfeldern aktiv sind und den Alltag am Laufen halten mit Fürsorge-und Pflegearbeit, im Sozial-und Gesundheitswesen. Unsere Partnerinnen sind dafür das beste Beispiel. Sie kämpfen für das Gemeinwohl und setzen sich unerschrocken für andere Frauen ein. Zugleich werden die sozialen und ökonomischen Folgen dieser globalen Gesundheitskrise in vielen dieser Ländern nicht aufzufangen sein und Frauen besonders hart treffen.

 

Solidarisch und feministisch: Wann, wenn nicht jetzt?

Ob im Bürgerkrieg oder in Zeiten der Pandemie, unsere Partnerinnen setzen ihre wichtige Arbeit unermüdlich fort – und das schon vor Corona oft unter widrigen Bedingungen. Die mediale Präsenz der Corona-Krise blendet gerade alles andere aus. Doch wegschauen wäre fatal. Andrea Böhm spricht im ZEIT-Artikel* zudem von einer "Hierarchie der Not“. Wir müssen davon ausgehen, dass die Folgen des Virus für die globale Ungleichheit massiv sein werden. „Nicht nur die unmittelbaren. Auch die, die man erst in den nächsten Jahren spüren wird.“

Die Arbeit unserer Partnerinnen ist in diesen Zeiten wichtiger denn je. Frauen sind oft die Leidtragenden, wenn Gesellschaften bröckeln. Und trotzdem sind sie es, die den Alltag am Laufen halten, für das Gemeinwohl kämpfen und die Rückkehr zur Normalität vorantreiben.

 

Gerade in Zeiten der Corona-Krise brauchen unsere Partnerinnen dringend Unterstützung. Wir sind hierfür auf Ihre Spenden angewiesen.

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