Resignation ist keine Option
Foto: Preslav Marinov
Zivilgesellschaftliche Organisationen stehen weltweit unter Druck – ihre Handlungsspielräume werden immer weiter eingeschränkt. Gerade in Krisen- und Kriegsgebieten ist ihr Einsatz jedoch essenziell, um von Gewalt und Trauma betroffene Frauen zu unterstützen. AMICA arbeitet mit Partnerorganisationen vor Ort, die dabei oft große Risiken eingehen. Doch auch in Deutschland nimmt der bürokratische und gesellschaftliche Druck auf NGOs zu. Wie sich AMICA gegen diese Entwicklungen stellt, welche Strategien geplant sind und wie jede*r unterstützen kann, lest ihr im Interview mit Hannah Riede nach.
„Resignation ist keine Option“
Ein Interview mit Hannah Riede
Hannah Riede ist Politikwissenschaftlerin. Sie arbeitet bei AMICA in der Öffentlichkeitarbeit und ist verantwortlich für die politische Kommunikation.
Foto: Preslav Marinov
AMICA: Was oder wer ist eigentlich die Zivilgesellschaft?
Hannah Riede: In einer demokratischen Gesellschaft gibt es Vereine, Verbände, Gruppen, soziale Bewegungen und Organisationen, die weder dem Staat noch privaten Unternehmen angehören. Sie organisieren sich unabhängig von Parteien und arbeiten nicht gewinnorientiert. Sie bilden die Zivilgesellschaft und sind wichtig, damit Bürger*innen ihre Rechte verteidigen und einfordern können: Sie initiieren politische Debatten, prangern Missstände an, hinterfragen politische Entscheidungen und bringen Perspektiven ein, die sonst möglicherweise unberücksichtigt blieben.
A: Für 2025 hat AMICA das Schwerpunkt-Thema „Shrinking Spaces“ festgelegt. Was genau sind „Shrinking Spaces“?
HR: Wenn die Zivilgesellschaft eingeschränkt wird, ist das ein Problem für die Demokratie: Dann werden kritische Stimmen unterdrückt, die Kontrolle der Regierung wird erschwert und marginalisierte Stimmen finden weniger Gehör.
„Shrinking Spaces“, also „schrumpfende Räume“, bezeichnet den weltweit immer kleiner werdenden Handlungsspielraum für zivilgesellschaftliche Organisationen. Dieses globale Phänomen bedeutet, dass gesellschaftliche Freiheiten zunehmend eingeschränkt werden – mit erheblichen Unterschieden von Land zu Land. Je stärker diese Einschränkungen sind, desto akuter ist die Bedrohung für die Zivilgesellschaft.
„Brot für die Welt“ gibt jährlich im Atlas der Zivilgesellschaft einen Überblick darüber, wie stark Gesellschaften unter Druck stehen. 71 Prozent der Weltbevölkerung – das sind rund 5,6 Milliarden Menschen – leben heute in Ländern, in denen die Machthabenden die Zivilgesellschaft stark oder sogar vollständig unterdrücken. Auch Deutschland ist 2024 im Ranking erstmals von „offen“ auf „beeinträchtigt“ herabgesetzt worden. Gründe dafür sind vor allem der Umgang mit Klimaaktivist*innen und der Vormarsch rechtsextremer Bewegungen.
A: AMICA unterstützt Fraueninitiativen in Krisen- und Kriegsgebieten, wo es häufig viele Beschränkungen gibt. Warum ist in diesen Regionen zivilgesellschaftliches Engagement besonders wichtig?
HR: Zivilgesellschaftliche Organisationen, Nachbarschaftsgruppen oder Zusammenschlüsse können in Notsituationen besonders schnell und flexibel reagieren. Sie agieren gezielt in das Konfliktgeschehen – lange bevor staatliche Maßnahmen greifen.
A: Wie ist AMICA vom Phänomen „Shrinking Spaces“ betroffen?
HR: Angesichts des aktuellen Aufwindes rechtsextremer Positionen werden Menschen, die sich für Geflüchtete, für Frauen, queere Menschen und für Klimaschutz einsetzen, zunehmend angefeindet, diffamiert und zum Teil kriminalisiert. Als feministische Organisation beobachten wir dabei mit großer Sorge einen erstarkenden Antifeminismus. Auch Entwicklungszusammenarbeit wird zunehmend delegitimiert und ist von starken Mittelkürzungen sowie einer steigenden Bürokratisierung betroffen, die es insbesondere für kleine Organisationen wie unsere immer schwerer macht, unsere Arbeit zu machen.
A: Frauenrechtsaktivist*innen weltweit sind von Repressalien betroffen. Auch in den Partnerländern berichten eure Kolleg*innen von Maßnahmen, die ihre Arbeit extrem erschweren. Was bedeutet es für Frauenrechtsaktivist*innen, in autoritären Staaten für die Rechte von Frauen einzustehen?
HR: Menschen- und Frauenrechtsaktivist*innen werden in vielen Ländern genau beobachtet. Es fängt schon bei der Wortwahl an. Begriffe wie „Feminismus“ müssen oft kreativ umschrieben werden. Eine unserer Organisationen bietet beispielsweise offiziell Computerkurse für Frauen an – doch darüber erhalten Überlebende von Gewalt auch Zugang zu Rechtsberatung und psychologischer Unterstützung.
Einige unserer Partner*innen arbeiten in Regionen, in denen sie aufgrund ihres Einsatzes für Frauenrechte einer ständigen Bedrohung ausgesetzt sind – durch Überwachung, Verfolgung oder sogar Verhaftungen. Oftmals dient das Kriegsrecht oder der Ausnahmezustand als Vorwand, um etwa Versammlungen zu verbieten.
Unsere Partnerorganisationen leisten großartige Arbeit und sind unermüdlich für Frauen im Einsatz, die von Gewalt und Trauma betroffen sind. Dabei gehen sie große Risiken ein, um die Situation vor Ort zu verbessern. In vielen Ländern ist allein ihr Engagement ein Akt des Widerstands gegen Unterdrückung und Gewalt.
A: Was fordert AMICA?
HR: Wir fordern, dass zivilgesellschaftliche Akteur*innen geschützt, finanziell gefördert und in Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Angesichts der vielen Krisen und Kriege weltweit ist die Kürzung der Gelder für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe eine Katastrophe für die Zivilgesellschaften vor Ort.
A: Was kann AMICA tun, um die Organisationen vor Ort noch aktiver zu unterstützen?
HR: Wichtig sind Angebote, die die Mitarbeiter*innen der Partnerorganisationen unterstützen, z.B. Self-Care-Workshops und Supervisionen. Außerdem schaffen wir geschützte Räume für Austausch und Vernetzung. Durch sog. „Mini-Grants“ können wir außerdem besonders kleine, nicht registrierte Vereine unterstützen. Unerlässlich für unsere Arbeit sind nach wie vor die Spenden unserer Unterstützer*innen. Wer uns helfen möchte, kann sich hier aktiv einbringen.
A: Was hat AMICA in diesem Jahr hier in Deutschland zum Thema „Shrinking Spaces“ geplant?
HR: Auf das Thema aufmerksam machen und Zivilgesellschaft stärken. Deshalb planen wir 2025 verschiedene Veranstaltungen und Austauschgruppen zu „Shrinking Spaces“. Wir möchten uns noch stärker mit gleichgesinnten Organisationen vernetzen und Akteur*innen zusammenbringen. Angesichts der aktuellen politischen Entwicklung ist Resignation keine Option.
Dabei geht es nicht nur um eine Analyse der Problematik – die Bedrohungslage ist bereits gut dokumentiert. Vielmehr wollen wir gemeinsam Gegenstrategien entwickeln sowie Thesenpapiere und andere Publikationen veröffentlichen.
A: Können sich AMICA-Freund*innen einbringen?
HR: Auf jeden Fall, das wünschen wir uns sehr! Unsere Veranstaltungen sind öffentlich und hier zu finden.
Zum Beispiel entwickeln wir gerade zusammen mit dem Frauennetzwerk für Frieden einen Workshop für feministisch Engagierte zum Thema „Stärke durch Frauensolidarität“. Es soll um Perspektiven der Verbundenheit gehen und darum, den rechten Diskursen alternative Erzählungen entgegenzusetzen. Wie können wir Stärke durch Solidarität und Verbundenheit entwickeln? Wie können wir Delegitimierungsdiskursen entgegentreten und Spaltungen vermeiden? Die Details werden bald auf unserer Homepage veröffentlicht.
Das Interview wurde in Zusammenarbeit mit unserer Ehrenamtlichen Laura Schwiertz durchgeführt.